Sonntag, 17. Mai 2015

Erbschaftssteuer: Ja oder Nein?

Pro & Kontra: Die nationale Erbschaftssteuer, über die am 14. Juni abgestimmt wird, spaltet die Schweiz. Befürwortern ist sie ein Gebot der Solidarität, Gegnern ein gefährlicher Eingriff in die kantonale Souveränität. 

 

Pro: Wenn Sie mit eigenen Augen sehen wollen, wohin unser Land fiskalpolitisch steuert, dann stellen Sie sich abends in Zürich an eine Ausfallstrasse Richtung A 3 – und beobachten den Berufsverkehr: Der geneigte Leser wird den feudalen Wagenpark bemerken. Folgen wir den vielen Schwyzer Autokennzeichen den Zürichsee entlang nach Wollerau, Freienbach und Feusisberg. Hier in Ausserschwyz findet sich mit 20 Prozent schweizweit eine der höchsten Millionärsdichten. Und hier soll das Märchen, dass Reiche schon genug besteuert werden, exemplarisch für die ganze Schweiz begraben werden.


Einer dieser Superreichen machte unlängst eine entlarvende Aussage: «Meine Steuerrechnung ist in gewissen Jahren höher als mein Einkommen.» Als Habenichts staunt man, denn die wenigsten von uns verstehen die Möglichkeiten der Steueroptimierung in dieser Einkommensklasse. Vermögende Firmeninhaber lassen sich von ihrer eigenen AG nur einen relativ bescheidenen Lohn auszahlen, so bleibt umso mehr Geld in der Firma, um Dividenden auszuschütten. Dem früheren freisinnigen Finanzminister Hans-Rudolf Merz verdanken wir die Unternehmenssteuerreform II, deren Kernstück die Dividendenbesteuerung ist. Wer mindestens 10 Prozent einer Kapitalgesellschaft besitzt, bekommt vom Bund einen Steuerrabatt von 40 Prozent auf Dividenden. Auf Kantonsebene gab es in Schwyz bis zum Jahr 2014 gar rekordhohe 75 Prozent (auf Druck des Verwaltungsgerichts mittlerweile auf 50 Prozent reduziert). So werden 100'000 Franken Dividenden zum Tarif von 25'000 Franken besteuert – also zum gleich tiefen Steuersatz wie das Einkommen einer Familie, die am Rande des Existenzminimums lebt. 

2009 konnten 1500 Schwyzer rund 1,8 Milliarden Franken zum Dumpingsatz versteuern. Schweizweit führt das Dividendenprivileg nicht nur zu jährlichen Steuerausfällen von 400 bis 600 Millionen Franken, sondern laut kantonalen Ausgleichskassen zu mehreren Hundert Millionen Franken Ausfällen bei der AHV. Denn auf Dividenden werden keine Sozialabgaben gezahlt.

Noch privilegierter sind Kapitalgewinne: Sie werden überhaupt nicht besteuert. Ein Investor, der sich an einem Unternehmen beteiligt und es später gewinnbringend veräussert, muss keinen Rappen Einkommenssteuern zahlen. Gemäss Bund werden Kapitalgewinne in der Höhe von rund 3,5 Milliarden Franken nicht besteuert. Und selbst als Hausbesitzer können Reiche die Steuerlast minimieren. In Schwyz gibt es keine Liegenschaftssteuer, gleichzeitig werden die Immobilien politisch gewollt viel zu tief bewertet. Letztmals wurden sie 2007 rückwirkend auf 2004 neu geschätzt. Bis heute blieben diese Steuerwerte gleich, obwohl sich die Preise verdoppelt haben. Wer also heute in Wollerau ein zehnjähriges Haus zum aktuellen Verkehrswert von 5 Millionen Franken kauft, muss für die mit 2,5 Millionen geschätzte Liegenschaft noch 2500 Franken Vermögenssteuer bezahlen. 

Man könnte jetzt ins Feld führen, dass dies nur in Steueroasen möglich sei. Ein Irrtum. Im Prinzip gelten diese Privilegien überall in der Schweiz, egal ob in Zürich, Bern, Delsberg oder im Toggenburg. Aber die bürgerlich dominierte Zentralschweiz gibt den Takt in der Schweizer Steuerpolitik an. Mit der Unternehmenssteuerreform III ist die nächste gigantische Steuersenkung aufgegleist. Im Grundsatz werden die Kantone gezwungen sein, ihre Unternehmensgewinnsteuern zu halbieren – und zwar auf das heutige Niveau von Schwyz oder Zug. Die Erbschaftssteuer ist der richtige Weg, um der «Schwyzerisierung» oder «Zugerisierung» der Schweiz wenigstens ein bisschen entgegenzusteuern. Kein Service sans Public!

Kontra: In der Schweiz hat jeder Kanton sein eigenes, historisch gewachsenes Steuergefüge. So hat der Kanton Waadt die moderate Erbschaftssteuer für direkte Nachkommen nie abgeschafft. Für die Linken ist die Waadt damit ein Vorbild. Noch vor einem halben Jahr, als die Schweiz über die Abschaffung der Pauschalbesteuerung debattierte, klang es ganz anders. Finanzdirektor Pascal Broulis musste sich mächtig für die steuerliche Privilegierung reicher Ausländer rechtfertigen. In der Waadt schont man also die reichen Ausländer bei der Einkommens- und Vermögenssteuer, dafür bittet man sie beim Erben zur Kasse. Das Beispiel zeigt, wie wenig angebracht es ist, dass der Bund in die Steuerhoheit der Kantone eingreift. Mit der Initiative für die Einführung einer nationalen Erbschaftssteuer würde man den Kantonen Steuersubstrat und damit potenzielle Einnahmen entziehen.

Für Leute, die wenig vom Föderalismus halten, mag dies ein Totschlagargument sein, um der Diskussion über die Vorteile der Erbschaftssteuer auszuweichen. Tatsächlich gilt die Steuer als ökonomisch effizient: Sie dämpft weder den Arbeitsanreiz wie die Einkommenssteuer noch die Sparanreize wie die Vermögenssteuer. Dennoch ist von Bedeutung, wie sich eine nationale Erbschaftssteuer in das Gesamtsystem einfügen würde. Dabei ist eine Schweizer Besonderheit zu beachten: Die Kantone erheben eine Vermögenssteuer (die notabene durchaus als Erbschaftssteuer in Tranchen bezeichnet werden kann). 

Diese steht quer in der Landschaft, weil man besser Einkommen als Substanz versteuert. Selbst Hans Kissling, der Vater der Erbschaftssteuerinitiative, räumte in seinem Buch «Reichtum ohne Leistung» ein, dass sich mit einer wirksamen Erbschafts- und Schenkungssteuer gar die totale Abschaffung der Vermögenssteuer rechtfertigen liesse: «Die selbst erwirtschafteten Vermögen, für deren Entstehen ja bereits Einkommenssteuern bezahlt wurden, würden dann nicht noch einmal belastet.» Wer also an der Erbschaftssteuer herumschrauben will, setzt besser in den Kantonen an, weil man dann auch gleich die Vermögenssteuer reformieren kann.

Die Initiative wurde so konstruiert, dass sie möglichst mehrheitsfähig ist. Wegen des Freibetrags von 2 Millionen Franken wären nur 2 Prozent der Bevölkerung betroffen. Um dem Fiskus dennoch die nötigen Einnahmen zu bringen, wurde ein hoher Steuersatz von 20 Prozent gewählt. Allerdings ist es fragwürdig, wenn eine nicht betroffene Mehrheit einer kleinen Minderheit solch eine Steuer auferlegen würde. Zudem wird die Steuer so für Familienbetriebe zur Bedrohung. Das wissen auch die Initianten: Erleichterungen für Unternehmen sind vorgesehen, um keine Arbeitsplätze zu gefährden. Man kann davon ausgehen, dass das Parlament diesen Spielraum bei der Umsetzung ausnützen würde. Diese Privilegierung ist aber auch problematisch. Erstens, weil ein Anreiz gesetzt wird, dass Firmen während der geforderten zehn Jahre weitergeführt werden, obschon es ökonomisch wenig Sinn ergibt. Zweitens werden neue Ungerechtigkeiten geschaffen zwischen Wertschriften-Erben und Firmen-Erben – wie ein Blick nach Deutschland zeigt. 

Wer glaubt, die Reichen in der Schweiz werden übermässig geschont, dem sei die starke Steuerprogression in Erinnerung gerufen. Und eine Aussage von Samuel Tanner, SP-Mitglied und bis vor kurzem die Nummer zwei in der Eidgenössischen Steuerverwaltung: «Die Schweiz gehört nicht zu den Ländern, die sich auf dem Buckel der Armen und des Mittelstands finanzieren. Wir haben ein Höchstmass an Solidarität.»

Quelle: Tages-Anzeiger 15.5.15

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Dienstag, 12. Mai 2015

Dazu braucht es Literatur

In Zeiten der elektronischen Medien mag das Lesen von Büchern resp. Literatur unmodern erscheinen. Dennoch werden so viele Bücher wie nie gedruckt - und auch gekauft. Was dabei als Literatur gelten kann oder soll, ist diskutabel. Nachstehend der Versuch einer Eingrenzung:

Gründe für eine leidenschaftliche Literatur
  1. Den Gedanken eine Geschichte geben
  2. Das Undenkbare denken - und aufschreiben
  3. Für den Blick über den Tellerrand hinaus

Über CH-Literatur
  1. wikipedia - siehe hier >>>: Die Literatur der Schweiz unterscheidet nach den vier Landessprachen in deutsche, französische, italienische und rätoromanische Literatur. Die Schriftsteller aller Landesteile sind in einem gemeinsamen Autorenverband organisiert, dem Verein Autorinnen und Autoren der Schweiz (AdS).
  2. NZZ-Kulturbeilage jeweils am Dienstag zur Literatur
  3. Wochenzeitung WoZ zur zeitgenössichen Literatur

10 oder mehr beste CH-SchriftstellerInnen der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart - eine Hitparade nach dem Gusto des Verfassers....
  1. Max Frisch
  2. Friedrich Dürrenmatt (auch Zeichner und Maler)
  3. Urs Widmer (2015 verstorben)
  4. Lukas Bärfuss (CH-Buchpreisträger 2015)
  5. Adolf Muschg
  6. Peter Stamm 
  7. Martin Suter (aktuell am meisten verkauft)
  8. Emil Zopfi (jahrelang auch an EB Zürich tätig)
  9. Literaturnobelpreisträger, nur teils schweizerisch
    1. 1919 Carl Spitteler
    2. 1946 Hermann Hesse (D/CH seit 1924)
  10. Ausländische Schriftsteller mit starkem Bezug zur Schweiz
    1. Thomas Mann
    2. Elias Canetti

Quelle: Guntram Rehsche 12.5.15

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Das teuerste Bild der Welt

Pablo Picassos "Les femmes d'Alger" ist in New York versteigert worden - für 179 Millionen Dollar wechselte das Gemälde den Besitzer. Ein neuer Rekordpreis. 

Pablo Picassos Bild "Les femmes d'Alger" hat einen neuen Auktionsrekord aufgestellt. Das Ölgemälde wurde vom New Yorker Auktionshaus Christie's für 160 Millionen Dollar versteigert. Rechnet man die Kommission dazu, die bei einem Verkauf für Christie's fällig wird, beläuft sich der Kaufpreis auf insgesamt 179,37 Millionen Dollar. Es war nicht der einzige Weltrekord in New York. Nur wenig später wurde "Der zeigende Mann" des Schweizer Künstlers Alberto Giacometti zur teuersten je bei einer Auktion versteigerten Skulptur. Die dünne Bronzefigur erzielte inklusive Gebühren 141,3 Millionen Dollar. Die Experten des Auktionshauses hatten das Werk zuvor auf rund 130 Millionen Dollar geschätzt. Die bislang teuerste Plastik stammt ebenfalls von Giacometti: Sein "Schreitender Mann" wurde vor rund fünf Jahren in London für 104,3 Millionen Dollar versteigert.

Giacometti-Skulptur "Der zeigende Mann" ist 141,3 Millionen Dollar wert

Giacometti-Skulptur "Der zeigende Mann" ist 141,3 Millionen Dollar wert

Picassos Bild entstand im Jahr 1954. Es ist eine von 15 Variationen, für die er sich von dem gleichnamigen Gemälde "Les femmes d'Alger" inspirieren ließ, das Eugène Delacroix 1834 schuf. Picasso wollte sein Werk als Ehrung seines Freundes und Konkurrenten Henri Matisse verstanden wissen, der damals gerade verstorben war.  Picasso übertrumpfte damit das bislang teuerste Bild um gut 17 Millionen. Im November 2013 kam Francis Bacons Triptychon "Three Studies of Lucian Freud" für 142,4 Millionen Dollar bei Christie's unter den Hammer.


10  Bilder: Kunst geht ins Geld: Die teuersten Gemälde der Welt
Bacon verdrängte damals das Bild "No. 5" von Action-Painter Jackson Pollock von Platz eins, das war 2006 für 140 Millionen über den Tisch gegangen. Es wurde allerdings nicht versteigert, sondern via Sotheby's privat verkauft - und zwar von Musik- und Filmproduzent David Geffen. Auf Platz drei und vier folgen ebenfalls Privatverkäufe. "Woman III" von Willem de Kooning, für 137,5 Millionen Dollar ebenfalls von Geffen veräußert, und Gustav Klimts "Adele Bloch-Bauer I" von der berühmten Kunsthändlerin Maria Altmann an die Neue Galerie New York - für 135 Millionen Dollar.

Platz fünf der teuersten Verkäufe belegt "Der Schrei" von Edvard Munch. Im Mai 2012 wurde das Gemälde bei Sotheby's in New York für 119,9 Millionen Dollar versteigert. Es ist damit das zweitteuerste Gemälde, das bei einer Versteigerung veräußert wurde. Die bisherige Top-Ten der teuersten Gemälde aller Zeiten:
  • "Three Studies of Lucian Freud" (1969) von Francis Bacon, 2013 versteigert für 142,4 Millionen Dollar
  • "No. 5" (1948) von Jackson Pollock, 2006 verkauft für 140 Millionen Dollar
  • "Woman III" (1953) von Willem de Kooning, 2006 verkauft für 137,5 Millionen Dollar
  • "Adele Bloch-Bauer I" (1907) von Gustav Klimt, 2006 verkauft für 135 Millionen Dollar
  • "Der Schrei" (1895) von Edvard Munch, 2012 versteigert für 119,9 Millionen Dollar
  • "Akt mit grünen Blättern und Büste" (1932) von Pablo Picasso, versteigert 2010 für 106,5 Millionen Dollar
  • "Junge mit Pfeife" (1905) von Picasso, 2004 versteigert für 104,2 Millionen Dollar
  • "Dora Maar mit Katze" (1941) von Picasso, 2006 versteigert für 95,2 Millionen Dollar
  • "Adele Bloch-Bauer II" (1912) von Gustav Klimt, 2006 versteigert für 87,9 Millionen Dollar
  • "Orange, Red, Yellow" (1961) von Mark Rothko, 2012 versteigert für 86,9 Millionen Dollar
Die Aussagekraft der Liste ist allerdings begrenzt. Der Verkaufspreis zeigt nur den Wert zu einem bestimmten Zeitpunkt. Die Inflation wird nicht berücksichtigt. So entspräche der Verkaufspreis von 140 Millionen Dollar Pollocks "No. 5" heute, also sieben Jahre nach dem Verkauf, inflationsbereinigt mehr als 160 Millionen Dollar. Viele der Gemälde, die inzwischen abgerutscht sind, standen früher selbst an der Spitze. Picassos "Junge mit der Pfeife" und Klimts "Adele-Bloch Bauer I" waren zum Zeitpunkt ihrer Veräußerung die teuersten Gemälde der Welt. Und auch Rembrandts "Mühle", die 1911 inflationsbereinigt für 13,1 Millionen Dollar verkauft wurde.

Quelle: Spiegel Online 12.5.15

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Samstag, 9. Mai 2015

Darum braucht es Literatur

In Zeiten der elektronischen Medien mag das Lesen von Büchern resp. Literatur unmodern erscheinen. Dennoch werden so viele Bücher wie nie gedruckt - und auch gekauft. Was dabei als Literatur gelten kann oder soll, ist diskutabel. Nachstehend der Versuch einer Eingrenzung:

Gründe für eine leidenschaftliche Literatur
  1. Den Gedanken eine Geschichte geben
  2. Das Undenkbare denken - und aufschreiben
  3. Für den Blick über den Tellerrand hinaus

Über CH-Literatur
  1. wikipedia - siehe hier >>>: Die Literatur der Schweiz unterscheidet nach den vier Landessprachen in deutsche, französische, italienische und rätoromanische Literatur. Die Schriftsteller aller Landesteile sind in einem gemeinsamen Autorenverband organisiert, dem Verein Autorinnen und Autoren der Schweiz (AdS).
  2. NZZ-Kulturbeilage jeweils am Dienstag zur Literatur
  3. Wochenzeitung WoZ zur zeitgenössichen Literatur

10 oder mehr beste CH-SchriftstellerInnen der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart - eine Hitparade nach dem Gusto des Verfassers....
  1. Max Frisch
  2. Friedrich Dürrenmatt (auch Zeichner und Maler)
  3. Urs Widmer (2015 verstorben)
  4. Lukas Bärfuss (CH-Buchpreisträger 2015)
  5. Adolf Muschg
  6. Peter Stamm 
  7. Martin Suter (aktuell am meisten verkauft)
  8. Emil Zopfi (jahrelang auch an EB Zürich tätig)
  9. Literaturnobelpreisträger, nur teils schweizerisch
    1. 1919 Carl Spitteler
    2. 1946 Hermann Hesse (D/CH seit 1924)
  10. Ausländische Schriftsteller mit starkem Bezug zur Schweiz
    1. Thomas Mann
    2. Elias Canetti

Quelle: Guntram Rehsche 11.5.15

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Montag, 4. Mai 2015

10 CHF für Papierrechnung

Der Trend, für Papierrechnungen eine Gebühr zu verlangen, treibt mitunter wilde Blüten. 


Rechnungen auf Papier sind immer häufiger nicht mehr gratis zu haben. Foto: H.-B. Huber (Keystone) 

Rechnungen auf Papier sind immer häufiger nicht mehr gratis zu haben.

Der vorliegende Fall von Walter Spieler (Name geändert) mag eine Ausnahme sein. Sowohl was die Höhe der verlangten Rechnungsgebühren angeht als auch den ruppigen Umgang des Anbieters mit dem Kunden. Doch er zeigt, wie schwierig es sein kann, sich als Kunde zu wehren, wenn Dienstleistungsanbieter den Vertrag ändern und für ihre Leistungen plötzlich mehr verlangen, ohne etwas Zusätzliches zu bieten.

Spieler ist langjähriger Abonnent des Internetdienstleisters Green.ch. Die Firma gehört zu den kleineren der Telecombranche und verfügt nach eigenen Angaben über einen Stamm von 100'000 Kunden. Vor ein paar Monaten kündigte Green.ch an, für eine Rechnung auf Papier künftig 10 Franken Gebühr zu verlangen, und begründete dies mit den Kosten, die durch das Erstellen und den Versand der Rechnungen entstünden.

Damit war Spieler jedoch nicht einverstanden. Er teilte seinem Provider umgehend per Telefon und auch per E-Mail mehrfach mit, er sei nicht gewillt, diese verkappte Preiserhöhung hinzunehmen, auch sehe sein Vertrag keine solche Gebühr vor. Doch Green.ch blieb beim Entscheid und verwies Spieler auf die Möglichkeit der elektronischen Rechnung, wenn er seine Fakturen weiterhin gratis erhalten wolle.

Als die erste gebührenpflichtige Rechnung eintraf, beglich Walter Spieler nur die Kosten für seinen Internetanschluss, nicht aber die Gebühr. Auch gegen die Mahnung wehrte er sich, worauf der Provider ihm zusicherte, bis auf weiteres nichts zu unternehmen.

Doch Anfang April stand Spieler plötzlich ohne Internetverbindung da. Weil er als Inhaber eines kleinen Handwerksbetriebs nicht darauf verzichten konnte, sah er sich schliesslich gezwungen, die Gebühr von 10 Franken umgehend bei der nächsten Poststelle einzuzahlen. Darauf wurde seine Internetverbindung wieder aktiviert.

Über das Verhalten seines langjährigen Providers ist Spieler empört und will den Vertrag kündigen. Bei Green.ch ist man sich indes keines Fehlverhaltens bewusst und verteidigt gegenüber dem TA das Vorgehen in diesem Fall. Gleichzeitig teilt Sprecherin Cornelia Lehne mit, man habe die Gebühr für Papierrechnungen inzwischen auf 2 Franken gesenkt, zahlreiche Kunden hätten nun auf E-Rechnung umgestellt, wodurch man die Kosten habe senken können. Damit räumt der Internetdienstleister ein, dass die tatsächlichen Kosten für eine Papierrechnung keinesfalls eine ­Gebühr von 10 Franken rechtfertigten.

«Eine Frechheit»
Der Trend, für Papierrechnungen eine zusätzliche Vergütung zu verlangen, ist insbesondere in der Telecombranche seit ein paar Jahren verbreitet. Zwar geht kein Unternehmen dabei so weit wie Green.ch: Für eine normale Papierrechnung müssen die Kunden von Sunrise, Orange und UPC Cablecom zwischen 2 und 3 Franken bezahlen. Eine detaillierte Auflistung kostet bei Orange pro Jahr aber bis zu 60 Franken. Als einzige der grossen Telecomfirmen verzichtet die Swisscom auf Rechnungsgebühren. Sie wählt den umgekehrten Weg und belohnt diejenigen mit Gutschriften, die freiwillig auf die Papierrechnung verzichten. Doch das wollen die wenigsten: Rund 80 Prozent der Kunden erhalten eine Rechnung auf Papier, die Hälfte will beides: Papier- und E-Rechnung, teilt die Swisscom auf Anfrage mit. 

Auch bei den Kreditkartenherausgebern greift das Gebührenmodell um sich. Besitzer einer SBB-Kreditkarte zahlen seit Neuestem ebenfalls 2 Franken, wenn sie die Faktura auf Papier haben wollen, und Inhaber einer Cumulus-Kreditkarte der Migros erhalten seit Anfang Jahr ihre Rechnung nur noch gegen einen zusätzlichen Betrag von 1.50 Franken per Post zugestellt. Gratis ist die Papierrechnung jedoch für jene, die eine Supercard-Kreditkarte von Coop haben.

Die Unternehmen rechtfertigen die Gebühren mit den zusätzlichen Kosten, welche die Papierrechnungen verursachen. Doch bei Kunden und Konsumentenschutzorganisationen stösst das Vorgehen regelmässig auf Kritik. Zuletzt etwa, als UPC Cablecom ankündigte, auf Anfang 2015 die Rechnungsgebühren auf 3 Franken zu verdoppeln. Auch Ralf Beyeler, Telecomexperte beim Vergleichsdienst Comparis, findet es «eine Frechheit», wenn Kunden für eine selbstverständliche Grundleistung wie die Rechnung zahlen müssten.

Doch wie können Kunden sich wehren? Solange sie vor Abschluss eines Vertrags wissen, dass Gebühren anfallen, haben sie zumindest theoretisch die Wahl, diese zu akzeptieren oder auf einen andern Anbieter auszuweichen.

Schwierig wird es, wenn die Gebühren erst nachträglich eingeführt oder geändert werden. Dabei handle es sich um eine einseitige Vertragsänderung, sagt Arnold Rusch, Rechtsanwalt und Privatdozent für Zivilrecht an der Uni Zürich. Wer als Kunde nicht einverstanden ist, müsse dies explizit kundtun. Dann sei es Sache des Dienstleistungsanbieters, zu handeln: Entweder er akzeptiere die Weigerung des Kunden, oder er kündige seinerseits den Vertrag, sagt Rusch.

Kunde als «Gratis-Hilfskraft»
In der Praxis funktioniert dies aber oft nicht, wie auch der Fall von Walter Spieler zeigt. Spieler hat seinem Internetprovider mehrfach mitgeteilt, er akzeptiere die neue Gebühr nicht und beharre auf dem Vertrag. Green.ch hat dies ignoriert und ihm stattdessen die Leistung verweigert. Ähnliches erlebten unlängst Inhaber der SBB-Kreditkarte, die sich gegen die neuen Rechnungsgebühren wehrten. Die SBB sperrten kurzerhand die Karten dieser Kunden, wie das Konsumentenmagazin «Saldo» berichtete.

Die Dienstleistungsanbieter berufen sich für ihr Vorgehen jeweils auf die allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Diese enthalten meist eine Klausel, mit der sich die Unternehmen das Recht herausnehmen, laufende Verträge zu ändern. Die Kunden müssen dann selber kündigen, wenn sie mit der oft kurzfristig angekündigten Änderung nicht einverstanden sind.

Gültig seien solche Änderungsrechte in den AGB aber nur, wenn sie nicht zu einem Ungleichgewicht führten, also die Kundinnen nicht übermässig benachteiligten. Diese Voraussetzung sei oft nicht erfüllt, auch im Falle von Green.ch nicht, sagt Rechtsexperte Rusch. Die AGB von Green.ch ermöglichten dem Dienstleister nämlich, diese beliebig anzupassen. Und selbst wenn die Änderungsrechte gültig wären, fragt sich, ob dann auch die Gebühren zulässig sind. Bislang gebe es keine entsprechenden Gerichtsurteile, weshalb die rechtliche Lage in Sachen AGB in der Schweiz nach wie vor nicht geklärt sei, sagt Rusch.

Viele Kunden geben offenbar dem Druck der Anbieter nach und steigen auf elektronische Rechnungen um. Das kann mühsam und aufwendig sein: Man muss auf dem Kundenportal jedes einzelnen Anbieters ein Internetkonto einrichten und dieses dann selber verwalten. Oder wie es ein TA-Leser ausdrückt: «Ich werde so zur Gratis-Hilfskraft des Dienstleistungsanbieters degradiert, indem dieser seinen administrativen Aufwand einfach an mich auslagert.»

Quelle: Tages-Anzeiger 19.4.15

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