Montag, 29. Juni 2015

Was Griechenlands Krise bedeutet



Doch was bedeutet die Maßnahme für normale Griechen, für griechische Unternehmen und für Touristen?

Banken in Griechenland bis einschließlich 6. Juli geschlossen
Mehr als eine Woche lang sind viele Banktransaktionen für Kunden von Banken in Griechenland nur sehr eingeschränkt möglich. Erst am Dienstag nächster Woche sollen die Banken wieder öffnen. Ausgenommen sind einige Filialen, die älteren Menschen ohne Zugang zum Internet ihre Rente in bar auszahlen sollen.
Verzugszinsen auf fällige Zahlungen dürfen nicht verlangt werden für die Zeit, in der die Banken geschlossen sind. Während die Banken geschlossen sind, wird auch an der Athener Börse nicht gehandelt.

Abhebungen an Geldautomaten auf 60 Euro pro Tag begrenzt
Frisches Bargeld erhalten griechische Bankkunden in dieser Woche nur in geringen Mengen: Mehr als 60 Euro pro Tag und Bankkarte dürfen sie in den nächsten acht Tagen nicht abheben. Der Betrag kann auch nicht vom einen auf den nächsten Tag aufgespart werden. Immerhin verspricht die Regierung, dass Bankautomaten, von denen viele gestern schon leer waren, bis Montagmittag wieder gefüllt sind.

Touristen können weiterhin abheben
Griechenland-Besucher müssen sich aktuell nicht sorgen: Wer eine ausländische Kredit- oder EC-Karte nutzt, ist von den Kontrollen ausgenommen. Sie kommen allerdings nicht an ihr Geld, wenn die Automaten leer sind. Das Auswärtige Amt rät deutschen Touristen deshalb, "sich vor der Reise mit ausreichend Bargeld zu versorgen".

Überweisungen ins Ausland brauchen Genehmigung
Um einen weiteren Abfluss von Kapital ins Ausland zu verhindern, müssen Überweisungen auf ausländische Konten von einer Kommission innerhalb des Finanzministeriums genehmigt werden.
Die Kommission wird nur Überweisungen erlauben, die sie für notwendig hält, um "ein öffentliches oder soziales Interesse zu schützen". Dazu zählen etwa Ausgaben für Medikamentenimporte. Für das normale Importgeschäft wird es dagegen offenbar keine Ausnahmen geben. Unternehmen mit internationalen Zulieferern könnte das in Schwierigkeiten bringen.
Der Zahlungsverkehr im Inland ist nicht betroffen: Online-Überweisungen im Inland können weiterhin in jeder Höhe vorgenommen werden. Das gilt ausdrücklich auch für Gehalts- und Pensionszahlungen. Auch in Läden soll man weiterhin problemlos mit Kredit- oder EC-Karten bezahlen können.

Verstößt eine Bank gegen eine der Regeln, muss sie bis zu zehn Prozent des Überweisungsbetrags als Strafe zahlen. Finanzminister Gianis Varoufakis kann die Regeln jederzeit ändern, etwa Zeiträume verkürzen oder das Limit für Abhebungen verändern. 

Quelle: Spiegel 29.6.15


Und zu den Auswirkungen für die Schweiz: Warum wurden die griechischen Banken geschlossen und Kapitalverkehrskontrollen eingeführt?
Hier lag immer die unmittelbar grösste Gefahr. Wie die Zahlen der Bank of Greece – einem Ableger des europäischen Zentralbankensystems – zeigen, sind die Einlagen auf ihren Konten zwischen Dezember 2014 und Mai 2015 ­bereits um 35 Milliarden Euro geschrumpft. Gemäss Insidern hat die Flucht von den Konten in den letzten Wochen und Tagen noch dramatisch zugenommen, so sollen bis zu 1,5 Milliarden pro Tag abgehoben worden sein. Lange Schlangen vor Geldautomaten selbst im Parlamentsgebäude Griechenlands vom Samstag liessen vermuten, dass nach den jüngsten Entwicklungen ein Ansturm auf die Banken am Montag bevorstehen würde. Der Regierung ist daher letztlich nicht viel anderes übrig geblieben, als die Banken ab dem Montag zu schliessen und den freien Kapitalverkehr zu beschränken.


Wie verhält sich die Europäische Zentralbank (EZB)?
Dass die griechischen Banken nicht bereits kollabiert sind, verdanken sie der EZB. Schon seit Februar können die Banken zwar nicht mehr auf dem üblichen Weg Kredite von ihr beziehen. Aber Notkredite zu einem höheren Zins (ELA) hat die Notenbank bisher weiter gewährt. In den letzten Tagen entschied sie im Tagesrhythmus darüber, ob dieser für die Banken entscheidende Kreditkanal geöffnet bleibt. Innerhalb der EZB ist diese Unterstützung hoch umstritten, weil die Notenbank damit ein hohes Risiko eingeht. Der Chef der Deutschen Bundesbank, selbst Mitglied im obersten EZB-Rat, hat sich klar für einen Abbruch ausgesprochen. Dennoch hat die Mehrheit dieses Entscheidungsgremiums auch am Sonntag, nach den dramatischen Entwicklungen vom Samstag, sich dafür ausgesprochen, diesen Geldhahn offen zu lassen. Allerdings hat die EZB die bis dahin auf maximal 89?Milliarden Euro festgelegte Summe nicht weiter erhöht. Dieser Entscheid hat die Kapitalverkehrskontrollen und die Schliessung der Banken unumgänglich gemacht.


Welche Bedeutung hat die Einschränkung des Kapitalverkehrs?
Über die Schliessung der Banken hinaus sollen laut ersten Berichten Banküberweisungen ins Ausland nur noch beschränkt möglich sein, ebenso wie Bezüge an Geldautomaten. Checks sollen nicht mehr eingelöst werden können. Griechische Banken bleiben heute zu. Auch die Börse bleibt geschlossen. Noch bis zum Wochenende hat die griechische Regierung betont, solche Schritte seien nicht geplant. Selbst am Sonntag versicherte dies Finanzminister Varou­fakis per Twitter. Am Abend wurden die Massnahmen dann angekündigt. Der Schritt dürfte die Unsicherheit in Griechenland stark anheizen, und es ist zu erwarten, dass jetzt alle verbleibenden legalen und illegalen Möglichkeiten genutzt werden, um Kapital ins Ausland zu schaffen. Das wird die Lage im Land weiter drastisch verschärfen.


Ist Griechenland nun bankrott?
Nach den jüngsten Entwicklungen vom Wochenende kann Griechenland nicht mehr mit Zahlungen aus dem Rettungsfonds rechnen. Damit ist es unwahrscheinlich geworden, dass das Land die am Dienstag fällige Zahlung an den Internationalen Währungsfonds (IWF) von 1,55 Milliarden Euro auslösen kann. Ein Zahlungsausfall gegenüber dem IWF bedeutet aber nicht automatisch einen generellen Staatsbankrott. Die Kredite der Euroländer über den Rettungsfonds müssen erst in vielen Jahren zurückbezahlt werden. Die Euroländer haben wenig Interesse daran, das Geld frühzeitig zurückzufordern, da sie es aktuell ohnehin nicht erhalten würden und abschreiben müssten. Andernfalls bleibt es in den Büchern und es kann weiter vorgegeben werden, dass Griechenland dereinst zurückzahlen wird. Ein Zahlungsausfall droht allerdings auch gegenüber der EZB. Ihr müsste Griechenland am 20. Juli 3,5 Milliarden Euro zurückzahlen, im August weitere 3?Milliarden.


Folgt jetzt automatisch ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone?
Nein. Ein solcher Austritt ist in den Vertragswerken der Währungsunion ohnehin nicht vorgesehen. Selbst die Gläubiger haben den Verbleib des Landes im Euroraum betont. Akute Geldnot und eine verschärfte Wirtschaftskrise in Griechenland würde das Land allerdings früher oder später zu einem Austritt zwingen. Angesichts der fehlenden Regelungen dazu wäre das Land und seine Unternehmen in der Folge mit einer Unzahl von Rechtsfällen konfrontiert, vor allem von in- und ausländischen Gläubigern, die auf einer Bezahlung in Euro bei eingegangenen Verträgen beharren. Immerhin glauben einige Ökonomen, dass Griechenland mit einer schwächeren eigenen Währung mit der Zeit wieder prosperieren könnte, weil es so seine Exporte und damit vor allem den Tourismus konkurrenzfähiger anbieten kann.


Kann Griechenland eine zweite Währung einführen?
Solange Griechenland in der Währungsunion verbleibt, ist ihm eine Zweitwährung untersagt. Wahrscheinlicher ist, dass Griechenland nach dem Schliessen des Kapitalverkehrs und angesichts der absehbaren Geldknappheit Schuldscheine der Regierung als Zahlungsmittel einführt – vor allem um ihre inländischen Verpflichtungen und Löhne zu begleichen. Doch weil kaum jemand dem Versprechen auf solchen Schatzscheinen glauben würde, dass die Regierung den aufgedruckten Betrag künftig gänzlich bezahlen kann, würden diese mit ­einem starken Abschlag getauscht. Die Kaufkraft des Euro würde gemessen an diesen Schatzscheinen stark zunehmen, weshalb die Währung erst recht gehortet würde. Die offiziellen Kurse, Preise und Löhne hätten dann wenig Bedeutung, und die Schwarzmärkte würden florieren. Die Geldknappheit und die Rechtsunsicherheit würde die Wirtschaft noch tiefer in die Krise stürzen.


Was droht der Schweiz?
Die Schulden von Griechenland etwa bei Schweizer Banken oder Unternehmen sind gering. Das Gleiche gilt für die direkten Handelsbeziehungen. Gefahr droht dagegen von der Wirkung auf den Franken durch die gestiegenen Unsicherheiten. Die SNB selbst hat auf das Risiko einer weiteren Aufwertung durch eine verschärfte Griechenland-Krise hingewiesen. Der Franken ist für die Schweizer Exportindustrie bereits jetzt zu hoch bewertet, und die Möglichkeiten der Nationalbank zur Schwächung sind beschränkt.


Wie werden die internationalen Kapitalmärkte reagieren?
Am Montag ist an den Aktien und Anleihenmärkten mit Kursverlusten zu rechnen. Weil die Schulden Griechenlands kaum mehr bei ausländischen Banken lagern und weil die EZB Verwerfungen an den Märkten mit Geldspritzen entgegenwirken kann, sind allerdings viele überzeugt, dass sich solche negativen Folgewirkungen dennoch in Grenzen halten und vorübergehend sind.


Quelle: Tages-Anzeiger 29.6.15

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