Montag, 8. Juni 2015

«Nicht bei Radio Beromünster»

Bundesrätin Doris Leuthard verteidigt die Online-Aktivitäten der SRG und sagt, was sie von der Kampagne um die Medienabgabe hält. 

 

«Davon profitieren alle»: Doris Leuthard über die SRG und den Service public. Foto: Sabina Bobst 
«Davon profitieren alle»: Doris Leuthard über die SRG und den Service public. Foto: Sabina Bobst

 
Kennen Sie den Comic des Gewerbeverbands, der Sie und SRG-Generaldirektor Roger de Weck als Langfinger karikiert?
Ich habe ihn gesehen, ja.


Finden Sie ihn lustig?
Sagen wir es so: Als Bundesrätin ist man sich inzwischen einiges gewohnt. Ich wurde von den Jusos auch schon mit blutigen Fingern gezeigt. Ich finde eigentlich, Verbände sollten sich nicht auf ein solches Niveau herablassen. Es ist unschweizerisch, mit Übertreibungen auf Personen zu zielen. Der Gewerbeverband muss selber wissen, ob das künftig sein Stil ist oder ob das jetzt ein Ausrutscher war.


Verbandsdirektor Hans-Ulrich Bigler kandidiert für den Nationalrat, wo Sie vielleicht zusammenarbeiten müssen. Geht das noch?
Das müssen Sie ihn fragen. Ich versuche, alle gleich zu behandeln. Aber man hat mit Parlamentariern mal ab und an einen Streit. In der Politik gilt es das auszuhalten. Persönliche Animositäten liegen nicht drin. Es muss um die Sache gehen.


Also zur Sache. Das Radio- und Fernsehgesetz betrifft direkt das Geschäft der Verleger. Wie zufrieden sind Sie mit der Berichterstattung von uns Zeitungen über die Vorlage?
Wird denn über die Vorlage berichtet? (Lacht.) Es wurde eine Debatte über den Service public angezettelt, die mit der Abstimmung nichts zu tun hat. Ich weiss, dass die Zeitungen in einer Strukturkrise stecken und beim Internet mit der SRG in Konkurrenz stehen. Wenn man die SRG schwächt oder ihr Werbung wegnimmt, dann wandert diese aber nicht einfach in ein Lokalradio oder in eine Zeitung. Auch hat niemand etwas davon, wenn wir an einem veralteten Inkassosystem festhalten. Geschwächt würden die privaten Radio- und Fernsehsender, weil weniger Geld für sie zur Verfügung stünde. Die Revision sieht ja vor, die Privaten auf Kosten der SRG zu stärken.


Zuerst über den Auftrag diskutieren, dann über die Finanzierung: Diese Forderung können Sie sicher nachvollziehen.
Wenn wir dem Systemwechsel zustimmen, dann sinken die Fernsehgebühren für 3 Millionen Haushalte von 460 auf 400 Franken. Bei einem Ja wird es für die meisten billiger. Die Service-public-Debatte wird hingegen Jahre dauern. In dieser Zeit würden 3 Millionen Haushalte zu viel zahlen.


So gewaltig ist der finanzielle Anreiz nun auch wieder nicht. Die Gebühr sänke um gerade mal 60 Franken.
Als es um die Autobahnvignette ging, galt ein Aufschlag von 60 Franken noch als Weltuntergang . . . Für viele Haushalte ist die Reduktion von Bedeutung, viele zahlen ja auch noch eine Zeitung.


Sie geben uns Gewähr, dass es in 10 Jahren noch 400 Franken sind?
Wahrscheinlich sogar weniger, bei 390 Franken. Es entfällt ja laut Bundesgericht die Mehrwertsteuerpflicht, das wird das Parlament wohl anpassen. Und die Zahl der Haushalte wird eher zunehmen. Auch die SRG verlangt nicht mehr Geld, und ich sähe auch keine politische Mehrheit dafür. Leute in Altersheimen oder Studentenwohnheimen zahlen im neuen System übrigens gar nichts mehr. Für Hörbehinderte gibt es ebenfalls Verbesserungen.


Dafür können Leute ohne Empfangsgerät der Abgabe nicht mehr entrinnen.
Heute sind 5 Prozent der Haushalte nicht bei der Billag angemeldet. Ein paar Tausend mögen tatsächlich über keinerlei Empfangsgerät verfügen. Das wird sich mit der Zeit aber weiter verändern. Bei einer so kleinen Zahl macht es Sinn, zu einer unbürokratischen, allgemeinen Abgabe zu wechseln.


Immerhin einige Tausend. Wieso sollten die für ein Angebot zahlen, das sie nicht nutzen?
In unserem Staat gibt es nun einmal gewisse Grundleistungen, die wir alle mitfinanzieren, auch wenn wir sie persönlich nicht direkt nutzen.


Über die Steuern. Doch betonen Sie ja, die SRG-Gebühr sei keine Steuer.
Es handelt sich um eine Abgabe, eine Spezialabgabe. Das ändert nichts an der Sache: Die Berichterstattung über die Politik, Wirtschaft, über das Wetter, über die Kultur – das alles sind Grundleistungen, die erbracht werden müssen. Sie verursachen Kosten, davon profitieren aber auch alle.


Also eben doch eine Steuer.
Nein, eine Steuer wäre voraussetzungslos geschuldet. Bei einem grossen Teil der Wirtschaft ist das nicht der Fall: Die Firmen zahlen nur, wenn gewisse Bedingungen erfüllt sind, erst ab einer halben Million Umsatz. 75 Prozent der Unternehmen liegen darunter und sind so von der Abgabe befreit, weitere 9 Prozent zahlen weniger als heute.


Über den Service public wollen Sie später debattieren. Wir meinen: Diese Debatte verläuft bei einem Nein am 14. Juni anders als bei einem Ja.
Aber wieso denn?


Heute beruht die Finanzierung auf Freiwilligkeit. Mit einem Ja wird sie der SRG ad infinitum zugesichert. Das nimmt Druck weg, die Service-public-Frage zu klären.
Das sehe ich anders. Es geht am 14. Juni einzig um das Inkassosystem. Die SRG erhält in beiden Fällen 1,2 Milliarden Franken, heute muss ja auch bezahlen, wer ein Gerät hat. Die Last wird bei einem Ja aber auf mehr Schultern verteilt, und so sinkt die Abgabe für die meisten.


Die Abstimmung hat symbolische Bedeutung. Ein Nein wäre ein Schuss vor den Bug.
Ein teurer Schuss vor den Bug von 3 Millionen Haushalten.


Sie kritisieren den Zeitpunkt – aber wie finden Sie die Service-public-Debatte inhaltlich? Können Sie etwas davon mitnehmen für später?
Nein, mir scheint die Diskussion sehr kakofon. Herr Bigler möchte Sportsendungen streichen. FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen will Swisspop abschalten und stellt SRF 3 infrage – was sich finanziell kaum auswirken würde. Wieder andere wollen alle Unterhaltungssendungen rauskippen. Das hilft nicht viel. Seit ich mein Departement führe, kommt in fast jeder Parlamentssession eine Frage, weshalb der «Tatort» so schlecht gewesen sei oder weshalb man diesen oder jenen Match nicht auf SRF 1 übertragen habe . . .


Die Quintessenz aus der Kakofonie könnte lauten: Man kann ziemlich viel streichen und den Service-public-Begriff eng definieren.
Dann bliebe plötzlich nicht mehr viel übrig. Die Debatte zeigt doch vor allem, dass es keinen Konsens gibt. Wir wollen darum sauber analysieren, inwieweit der heutige Verfassungsartikel noch berechtigt ist. Radio und TV müssen heute zur Bildung, kulturellen Entfaltung, Information und Unterhaltung beitragen. Man kann das ändern, muss dann aber auch Gesetz und Konzession anpassen und wissen, welches die Folgen wären. Es gibt Staaten, die den Service public stark reduzierten oder wie die USA alles dem Markt überlassen. Es braucht gründliche internationale Vergleiche – dann können wir auf guter Grundlage debattieren.


Wir gehen eine Wette ein, dass das Fazit dieser Berichte lauten wird: Der Service public der SRG ist angemessen, Einschränkungen wären fehl am Platz.
Warum glauben Sie das?


Die SRG hat einen ausgezeichneten Rückhalt bei Ihnen, in der Verwaltung und im Parlament.
Das ist jetzt wieder die Sicht der Verleger, die hier zum Ausdruck kommt. Wir führen mit der SRG immer wieder intensive Gespräche. Ich habe von den Kritikern noch keinen klugen Vorschlag gehört, nach welchen Kriterien was gestrichen werden soll.


Sagen Sie uns einen.
Es wäre komplett verkehrt, wenn ich jetzt unsere Analysen vorwegnehmen würde. Es gibt auch noch Unwägbarkeiten in der Zukunft, etwa eine Volksinitiative, bei der es auch um den Service public geht.


Die Verleger ärgern sich vor allem über die Onlineaktivitäten der SRG. Soll sie wirklich eine Gratiszeitung im Netz betreiben dürfen?
Wir haben diesen Bereich genau reguliert, weil sich Verleger und SRG nicht einigen konnten. Grundsätzlich soll man nicht verhindern, dass ein Medium die neuen Technologien nutzt. Der SRG sind aber sowohl publizistisch als auch wirtschaftlich Schranken gesetzt. Werbung ist verboten, und bei den Zeichen pro Artikel gilt eine strikte Obergrenze. Private Anbieter sind viel freier.


Das System ist kompliziert. Eine reine Audio- und Videothek im Internet würde doch genügen. Der Auftrag lautet, Radio und Fernsehen zu machen . . .
Sie wollen einem Medienhaus ernsthaft die Onlinewelt versperren? Das ist von vorgestern, wir sind ja nicht mehr bei Radio Beromünster. Es ist doch richtig, dass die SRG darauf reagiert, dass das ­Internet immer bedeutender wird. Ich würde mir viel mehr wünschen, dass die SRG und die Privaten im Netz stärker zusammenarbeiten.


Sie rezitieren gerade das Mantra von SRG-Generaldirektor de Weck.
Das hat nichts mit Mantra zu tun, sondern mit Notwendigkeiten. Diese Zusammenarbeit gibt es in allen europäischen Ländern.


Interviews mit Ihnen verlaufen oft nach dem gleichen Schema: Es kommen kritische Fragen zur SRG, und Sie verteidigen sie. Gibt es nichts, was Sie an dem Betrieb stört?
Jede und jeder kennt Fernsehsendungen, die ihm nicht gefallen – auch ich. Es ist aber nicht an mir als Politikerin, die SRG-Programme zu kritisieren. Die Programmautonomie ist in der Verfassung verankert.


Trotzdem: Sie werden als Glücksfall für die SRG bezeichnet. Die Bande zwischen der SRG und Ihrer Partei, der CVP, sind traditionell eng.
Ach herrje … das sind doch Klischees wie «Alle Journalisten sind links». Die bundesrätliche Medienpolitik hat wirklich nichts mit Parteipolitik zu tun. Im Übrigen sassen in den Führungsgremien der SRG nie bloss CVP-Politiker. Im Verwaltungsrat ist auch ein SVP-Vertreter, der frühere Präsident gehört zur FDP.


SRG-Präsident Raymond Loretan tritt zurück, weil ihn die CVP für den Ständerat nominiert hat. Wie beurteilen Sie seine Leistung? Und was sagen Sie zu seinem Abgang?
Die ganze Medienbranche ist ja im Umbruch. Davon ist auch die SRG betroffen. Zugleich mit unterschiedlichen Ansprüchen aller Sprachregionen umzugehen, hat er geschickt gemacht. Wenn jemand in die Politik wechseln will, ist das zu respektieren.


Falls es am 14. Juni ein Nein gibt, geht Ihnen nach der Vignette erneut eine Abstimmung verloren. Haben Sie dann im Herbst noch einmal Lust auf eine neue Legislatur?
Es haben ein paar Bundesräte schon ­gewichtigere Abstimmungen verloren. Aber wollen Sie mich zum Rücktritt auffordern? Ich finde diese Personalisierungen etwas problematisch. Der Bundesrat ist ein Kollegium und gewinnt oder verliert jede Vorlage gemeinsam. Ich bin immer noch motiviert.


Quelle: Tages-Anzeiger 29.05.2015

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