Montag, 14. Dezember 2015

Geld aus dem Nichts - woher kommt es?

Schon nach der Grossen Depression in den 1930er-Jahren wollten Ökonomen unser Geldsystem generalüberholen – ohne Erfolg. Nun liefert die Finanzkrise Grund für einen neuen Anlauf.

Das Geldschöpfungsmonopol der Notenbanken ist auf das Bargeld beschränkt. Foto: Martin Rütschi (Keystone) Das Geldschöpfungsmonopol der Notenbanken ist auf das Bargeld beschränkt. Foto: Martin Rütschi (Keystone) 

Seit der Finanzkrise schlägt dem Geldsystem ein grundlegendes Misstrauen entgegen. Ein Ausdruck dieser internationalen Entwicklung ist die zustande gekommene Vollgeldinitiative: Morgen sollen 110'000 Unterschriften feierlich bei der Bundeskanzlei in Bern eingereicht werden. Bis 2008 galt es als unwahrscheinlich, dass das Finanzwesen selbst in wirtschaftlich hoch entwickelten Ländern die ganze Weltwirtschaft an den Abgrund führen kann. Kein Wunder also, wird die Rolle des Geld- und Bankensystems heute sowohl in der ökonomischen Wissenschaft und in der Politik wie auch in der Öffentlichkeit viel intensiver diskutiert.

Das ist typisch für die Zeit nach wirtschaftlichen Schockerlebnissen. So sind auch die heutigen Notenbanken Kinder von Finanzkrisen, wie sie sich im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert ereignet haben. Man wollte die Oberhoheit über die Geldausgabe einer staatlichen Institution unterstellen und diese mit einem Monopol für die Geldschöpfung ausstatten. Notenbanken konnten so mit frisch geschaffenem Geld für Beruhigung sorgen, wenn die Menschen den Banken plötzlich nicht mehr trauten, ihre Konten auf einen Schlag zu räumen suchten und damit das gesamte Finanzsystem ins Wanken brachten.

Geld aus dem Nichts
Trotzdem konnten die Notenbanken weder die Weltwirtschaftskrise noch die jüngste Finanzkrise verhindern. Es wurde umgekehrt sogar besonders deutlich, dass diese Institutionen die Geldmengensteuerung weit weniger im Griff haben, als das die gängigen Lehrbücher beschreiben. In der Praxis beschränkt sich das Geldschöpfungsmonopol der Notenbanken weitgehend auf das Bargeld. Buchgeld, das heisst elektronisches Geld, können die Banken selber sozusagen aus dem Nichts schaffen. 

Das tun sie, indem sie Kredite oder Hypotheken vergeben. Diese Kredite werden zu Bankeinlagen von Kunden: entweder indem die Banken ihren Kreditkunden das geliehene Geld direkt als Einlage gutschreiben oder indem die Kredite für Zahlungen genutzt werden, die zu Einlagen der Empfänger dieser Zahlungen werden. Angesichts der Geldschöpfung durch Bankkredite macht das Notenbankgeld immer nur einen Bruchteil des umlaufenden Geldes aus. Es besteht aus dem Bargeld und aus den Reserven, die die Banken bei der Notenbank halten müssen.

Schliesslich kann die Notenbank die beschriebene Schöpfung von Buchgeld via Kredite nur indirekt über ihre Leitzinsen steuern. Sie beeinflussen letztlich die Kosten für alle Ausleihungen. Werden Kredite teurer, werden sie weniger nachgefragt, und das Geldmengenwachstum nimmt ab.

Doch die Leitzinsen sind nicht der einzige Einflussfaktor bei der Kreditvergabe: Während einer allgemeinen Euphorie werden Kredite im Übermass nachgefragt und vergeben, was die Bildung von Preisblasen etwa an Immobilienmärkten (wie vor der Finanzkrise) befördert. In einer Depressionsphase wie in der Eurokrise fragen Unternehmen bei tristen Absatzerwartungen kaum Kredite nach, beziehungsweise Banken vergeben weniger Geld, weil sie mehr Zahlungsausfälle fürchten. 

Der «Chicago Plan»
Kreditzyklen tendieren dazu, das gesamte Wirtschaftssystem zu destabilisieren. Aus diesem Grund schlugen bereits nach der Grossen Depression in den USA in den 1930er-Jahren führende Ökonomen den «Chicago-Plan» vor: Sie wollten das auf Kredite – und damit letztlich auf Schulden – aufgebaute Geldsystem durch eines ersetzen, bei dem alles Buchgeld durch Reserven bei der Notenbank gedeckt ist. Die Banken hätten also Reserven in Höhe sämtlicher Kundeneinlagen bei der Notenbank hinterlegen müssen. So hätte der Einfluss der Banken auf die Geldmenge beschränkt und das Finanzwesen sicherer werden sollen. Umgesetzt wurde der Plan nie.

Die Idee des Vollgelds, wie sie jetzt durch eine Initiative umgesetzt werden soll, geht deutlich weiter: Demnach soll letztlich alles umlaufende Geld Notenbankgeld sein, wie das jetzt für das Bargeld zutrifft. Banken würden dann in ihrer Kreditvergabe durch das vorhandene von der Notenbank geschaffene Geld beschränkt. Damit erhält Letztere die vollständige Kontrolle über die Geldmengensteuerung. So sollen einerseits kreditgetriebene Blasen weniger wahrscheinlich werden, und andererseits besteht für Einlagen dann das Risiko nicht mehr, dass die Bank das Geld wegen Fehlinvestitionen nicht mehr zurückzahlen kann. Das gesamte Finanzsystem soll so stabiler werden. Für die Kreditvergabe wären die Banken dann auf speziell dafür bereitgestellte Spareinlagen und andere längerfristige Anlagen angewiesen.

Ein Grossteil der Kritik an der Vollgeldidee dreht sich um die praktische Umsetzung. Alleine die Umstellung könnte zu einer grossen Instabilität führen, sagen Kritiker. Wie zudem der Ökonom Mathias Binswanger in seinem Buch «Geld aus dem Nichts» festhält, kann sowohl mit einer 100-Prozent-Reserve-Lösung wie auch mit Vollgeld bestenfalls das Kreditvolumen besser kontrolliert werden, nicht aber die Art der Kredite. Der Umstand, dass der Anteil der Hypotheken unter den Krediten der Banken einen immer grösseren Anteil angenommen hat, hätte auch mit den entsprechenden Geldsystemen nicht verhindert werden können. Übertreibungen in diesem Bereich hatten aber einen wesentlichen Anteil an Finanzkrisen und am Zusammenbruch von Banken. Schliesslich bestehen auch bei einem Vollgeldsystem Möglichkeiten für Banken, die Einschränkungen mit finanziellen Innovationen zu umgehen. Die erhoffte Stabilität bliebe dann ein Wunschtraum. 

Die Macht der Notenbanker
Das grösste Problem dieser Reformideen orten Kritiker aber darin, dass sie den Notenbanken die komplette Dominanz über die Geldversorgung und damit eine gigantische Verantwortung für das gesamte Wirtschaftssystem übertragen. Gegen die Gewissheit, dass derart mächtige Notenbanker vor gefährlichen Fehleinschätzungen besser gefeit sind als ein dezentral organisiertes Bankensystem, spricht die historische Erfahrung. 

So sind sich die meisten Ökonomen darin einig, dass eine fehlgeleitete Politik der Chefs führender Notenbanken in den Jahren vor und zu Beginn der Grossen Depression in den 1930er-Jahren diese wesentlich verschlimmert hat. Und selbst jetzt gibt es unter Ökonomen eine intensive Debatte darüber, ob die Notenbanker in den letzten Jahren – etwa mit ihren umfassenden Geldspritzen – die beste Politik verfolgt haben, um aus der Krise zu kommen, oder ob sie für das Geschehene nicht sogar mitverantwortlich sind.

Quelle: Tages-Anzeiger 29.11.2015

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